Die Klimaschutz-Bewegung greift zu drastischen Mitteln, die in der Bevölkerung nicht immer Zuspruch finden. Betreiben Klima-Akivist* innen die richtige Form des zivilen Ungehorsam? Gert Scobel analysiert konstruktiv die aktuelle Diskussion.
Richard David Precht trifft die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie sprechen über Moral, Krieg und Klima-schutz. Und darüber, wie man optimistisch bleibt in schweren Zeiten. Für viele junge Leute spielen moralische Werte heute eine deutlich wichtigere Rolle als für frühere Generationen. Moralische Anschauungen werden eng verbunden mit sozialem, ökologischem, ökonomischem und politischem Handeln. All dies findet sich in der Klimafrage wieder: Was ist eine gerechte Politik und welche Haltung sichert der Menschheit ihr Überleben?
Greta Thunberg ist die Ikone der weltweiten Klimabewegung. 2018, im Alter von 15 Jahren, begann sie in Stockholm für mehr Klimaschutz zu streiken. Greta Thunberg bemängelt, dass die Klimakrise immer noch nicht als wirkliche Notlage behandelt werde. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass dies durchaus möglich sei. Auch der Krieg dürfe nicht dafür sorgen, dass die Klimakrise aus dem Fokus gerät: „Jeder Krieg ist ein Desaster. Auf ganz vielen Ebenen. Aber wir müssen in der Lage sein, uns mit verschiedenen Dingen zur selben Zeit zu beschäftigen.“
Heute hat sich das Stimmvolk gegen die Trinkwasserinitiative und die Initiative “Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide” ausgesprochen. Es hat diesen Entscheid gefällt – in der Erwartung, dass Politik und Landwirtschaft die massiven Umweltprobleme und gesundheitlichen Risiken durch Pestizide und Nährstoffe erkannt haben. Bundesrat und Parlament haben zugesagt, die Belastung durch Pestizide und Nährstoffe wirksam zu reduzieren und den Zustand der Biodiversität zu verbessern. Sie stehen nun in der Pflicht, ihren Beteuerungen konkrete Taten folgen zu lassen.
Denn eines ist klar: mit dem heutigen Tag sind die Probleme keineswegs vom Tisch. Da sind die zu hohen Tierbestände: Die Schweiz hält pro Hektare rund doppelt so viele Nutztiere wie ihre Nachbarländer. Die Gülle dieser Tiere wird in Form von Stickstoff über die Luft verfrachtet und verschmutzt Seen, Wälder und Moore. Die Artenvielfalt der Schweiz nimmt laufend ab. Rund 60 Prozent der Insektenarten in der Schweiz sind bedroht. Wir belasten Wasser, Luft und Böden mit einem ganzen Cocktail an Pestiziden mit unvorhersehbaren Folgen für die Natur und unsere Gesundheit. Diese Probleme müssen rasch gelöst werden. Je länger man wartet, desto höher sind die Kosten. Wenn wir die natürlichen Ressourcen nicht schonen, steht unsere Ernährungssicherheit mittel- und langfristig auf dem Spiel.
Massnahmeplan “sauberes Wasser” muss rasch umgesetzt werden
Wie wichtig die Schonung der natürlichen Ressourcen ist, anerkennen auch Exponenten aus der Landwirtschaft. So betonte etwa Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des Berner Bauernverbands: «Wir begrüssen den vom Bundesrat verabschiedeten Plan für sauberes Wasser in der Schweiz, weil wir genau der gleichen Meinung sind: gesunder Boden, saubere Luft und sauberes Wasser sind unsere zentralen Produktionsgrundlagen.» Auch die IG Zukunft Pflanzenschutz (Social-Media-Post vom 24. April) unterstützt den «Massnahmeplan sauberes Wasser». Wir erinnern den Bauernverband und die BauernvertreterInnen im Bundeshaus an diese Zusagen und erwarten, dass sie ihre Versprechen an die Bevölkerung einhalten und die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen nicht länger bekämpfen.
Die beiden Pestizid-Initiativen haben viel bewegt. Die Bevölkerung ist mehr denn je sensibilisiert für die Risiken und Gefahren, welche von Pestiziden und ihren Abbauprodukten ausgehen. Ein «weiter wie bisher» ist definitiv keine Option. Die Trägerorganisationen des 2xJa-Komitees werden sich weiterhin mit Nachdruck für nachhaltige und zukunftsfähige Lösungen in der Landwirtschaft engagieren. Sie sind dringend nötig.
06.05.2021. Die Kampagne für die beiden Umweltinitiativen ist auch in Graubünden lanciert. Diverse Organisationen machen sich für ein Ja an der Urne stark. Am Mittwoch haben sie ihre Gründe erklärt.
von Olivier Berger
Radi Hofstetter gibt der Gegnerschaft der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative sogar recht. Es stimme, was beispielsweise der Bauernverband auf seinen Plakaten schreibe – die beiden Umweltinitiativen seien extrem: «Sie sind extrem wichtig und notwendig, wenn wir unsere Gesundheit und die Biodiversität nicht endgültig aufs Spiel setzen wollen.»
Nicht alle Landwirte dagegen
Zwei Tage nach den Gegnerinnen und Gegnern (Ausgabe vom Dienstag) haben am Mittwoch Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen sowie der Verda Graubünden ihre Abstimmungskampagne eröffnet. Vor die Medien traten sie auf dem Weingut von Francisca und Christian Obrecht in Jenins. Das Ehepaar bewirtschaftet seine Rebberge biodynamisch; Francisca Obrecht wird am 13. Juni zu beiden Umweltinitiativen ein Ja in die Urne legen. Sie hoffe, dass eine Annahme der Initiativen der Landschaft einen «Innovationsschub» verpasse werde, sagte sie.
Hofstetter, Präsident des kantonalen Fischereiverbands, erklärte, wieso er die beiden Initiativen «extrem wichtig» findet. «Wir Fischer sind diejenigen, die am genausten ins Wasser schauen», erklärte er. Und in diesem Wasser seien die Folgen der Pestizidanwendung längst sichtbar – auch in den «Gebirgsbächen weitab von konventionellen Landwirtschaftsbetrieben». Die Anzahl und Vielfalt von Kleinlebewesen sei «dramatisch zurückgegangen».
Gesundheit und Zukunft
Nicht nur Fische, sondern auch Vögel sind durch Pestizide gefährdet, wie Michaela Bauer, Präsidentin von Birdlife Graubünden, erklärte. Gustav Ott, Präsident der Bündner Sektion von Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, warnte vor den Gefahren der Pestizide für die menschliche Gesundheit. Und Rolf Marugg als Vertreter der Verda fasste zusammen: «Abgesehen davon, dass Pestizide für den Menschen gesundheitsschädlich sind, wirken sie sich negativ auf viele andere Lebewesen aus.»
Einen flammenden Appell richtete Noana Werdmüller an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, «Ich bin noch nicht mal 20 Jahre alt und muss dafür kämpfen, damit ich, meine Kinder und Enkel auch in Zukunft noch etwas zu Essen und Trinken haben», sagte die Aktivistin von Extinction Rebellion Graubünden.