Die Klimaschutz-Bewegung greift zu drastischen Mitteln, die in der Bevölkerung nicht immer Zuspruch finden. Betreiben Klima-Akivist* innen die richtige Form des zivilen Ungehorsam? Gert Scobel analysiert konstruktiv die aktuelle Diskussion.
Richard David Precht trifft die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie sprechen über Moral, Krieg und Klima-schutz. Und darüber, wie man optimistisch bleibt in schweren Zeiten. Für viele junge Leute spielen moralische Werte heute eine deutlich wichtigere Rolle als für frühere Generationen. Moralische Anschauungen werden eng verbunden mit sozialem, ökologischem, ökonomischem und politischem Handeln. All dies findet sich in der Klimafrage wieder: Was ist eine gerechte Politik und welche Haltung sichert der Menschheit ihr Überleben?
Greta Thunberg ist die Ikone der weltweiten Klimabewegung. 2018, im Alter von 15 Jahren, begann sie in Stockholm für mehr Klimaschutz zu streiken. Greta Thunberg bemängelt, dass die Klimakrise immer noch nicht als wirkliche Notlage behandelt werde. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass dies durchaus möglich sei. Auch der Krieg dürfe nicht dafür sorgen, dass die Klimakrise aus dem Fokus gerät: „Jeder Krieg ist ein Desaster. Auf ganz vielen Ebenen. Aber wir müssen in der Lage sein, uns mit verschiedenen Dingen zur selben Zeit zu beschäftigen.“
07.06.2023
Wäre Ende Mai abgestimmt worden, hätten sich 63 Prozent der befragten Stimmberechtigten für das Klimaschutz-Gesetz ausgesprochen. Das ist das Ergebnis der 2. SRG-Umfrage zur Abstimmung vom 18. Juni 2023, die das Forschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der SRG SSR durchgeführt hat. Aber die Ja-Seite gerät derzeit unter Druck. Aktuell ist ein Nein-Trend zu beobachten.
Die Debatten nehmen deutlich an Fahrt auf – beim Klimaschutz-Gesetz bedeutet das trotz Vorsprung der Befürworter eine steigende Ablehnung der Vorlage. 36 Prozent der Umfrageteilnehmenden hätten den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative drei Wochen vor Urnengang abgelehnt.
Der Vorsprung der Ja-Seite verringert sich um 20 Prozentpunkte. Dabei schrumpft das tendenziell befürwortende Lager, nicht aber die bestimmte Unterstützung.
Die 2. SRG-Umfrage zeigt: Der Stand der Meinungsbildung ist zwar fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Die Hauptkampagnenphase ist in vollem Gange.
Besonderes Augenmerk liegt auf den ländlichen Regionen: Bei der Abstimmung zum CO₂-Gesetz im Juni 2021 brachte eine starke Mobilisierung auf dem Land die Vorlage zum Scheitern. Beim Klimaschutz-Gesetz ist die Ausgangslage nun anders: Sogar auf dem Land liegt die Ja-Seite vorn, trotz Nein-Trend. «Wir haben beim Klimaschutz-Gesetz eine andere Konstellation an Vorlagen als damals beim CO₂-Gesetz, das auch aufgrund der Agrarinitiativen verworfen wurde», erklärt Martina Mousson, Projektleiterin von GFS Bern.
Politische Polarisierung nimmt zu
Ein links-grünes Ja zum Klimaschutz-Gesetz gilt als gesetzt. Die Unterstützung der Vorlage bleibt in diesem Umfeld sehr hoch. Den Gegenpol bildet das akzentuierte SVP-Nein: 85 Prozent der SVP-affinen Befragten lehnen das Klimaschutz-Gesetz ab.
Alle anderen Parteiwählerschaften bleiben mehrheitlich im Ja. Die Zustimmung aus der politischen Mitte kommt aber unter Druck. So entwickeln sich die Stimmabsichten bei der Mitte und der FDP tendenziell weg von der offiziellen Ja-Position der jeweiligen Mutterpartei.
Zudem ist die Meinungsbildung im FDP-Umfeld und bei Parteiungebundenen im Vergleich wenig gefestigt. Veränderungen bei diesen Gruppen sind weiterhin wahrscheinlich.
«Nein-Stimmen finden wir besonders gehäuft auch bei Personen, die Misstrauen gegen die Regierung hegen, und bei Personen mit tiefer Schulbildung», fasst Mousson zusammen.
Richtige Anreize oder steigende Kosten?
Argumentativ bleibt die Ja-Seite besser aufgestellt. Bis auf die genannten Bevölkerungsgruppen überzeugt sie auf einer grossen Bandbreite.
Das Ja-Argument für eine langfristig sichere Stromversorgung durch die Abkehr von fossilen Energieträgern verfängt bei 69 Prozent der Befragten. Zudem finden knapp zwei Drittel, dass die Vorlage richtige Anreize setze und damit Bevölkerung und Wirtschaft beim klimafreundlichen Umstieg ohne zusätzliche Steuern unterstütze.
Wie erwartet punktet das Nein-Lager wiederum mit der Kostenargumentation. 45 Prozent der Befragten sind einverstanden, dass das Klimaschutz-Gesetz zu stark steigenden Strompreisen führe. Sie befürchten deutliche Mehrkosten pro Haushalt. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Sorge um höhere Kosten grundsätzlich zwar verfängt, Befragte aus Haushalten mit tiefen und mittleren Einkommen hätten Ende Mai trotzdem mehrheitlich Ja gestimmt.
Mit Blick auf den aktuell breiten Konsens sagt Mousson: «Stand heute spricht mehr für ein Ja. Für ein Nein müsste ein gewaltiger Schub entstehen.»
Im November 2019 wurde die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima» (Gletscher-Initiative) eingereicht. Hintergrund der Initiative ist das Pariser Klimaabkommen, welches Staaten bis 2050 zu Netto-Null-Emissionen verpflichtet. Auch die Schweiz hat sich hierzu verschrieben.
Bundesrat und Parlament geht die Initiative zu weit. Die Bundesversammlung hat deshalb einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Gegen diese Vorlage wurde das Referendum ergriffen, weshalb es am 18. Juni 2023 zu einer Volksabstimmung kommt.
Die entsprechende Vorlage hält als Ziel fest, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden muss. Dabei soll der Verbrauch fossiler Energieträger nicht verboten, sondern so weit wie möglich reduziert werden. Die Vorlage enthält Richtwerte für Industrie, Verkehr und Gebäude. Zudem will der Bund den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektro- durch klimaschonende Heizungen mit zwei Milliarden Franken und Betriebe, die Innovationen zur klimaschonenden Produktion einsetzen, mit 1.2 Milliarden Franken unterstützen. Neue Steuern oder Gebühren gibt es mit dem Klimaschutz-Gesetz nicht.
Wird das Klimaschutz-Gesetz abgelehnt, kommt die Gletscher-Initiative dennoch zur Abstimmung.