Richard David Precht trifft die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie sprechen über Moral, Krieg und Klima-schutz. Und darüber, wie man optimistisch bleibt in schweren Zeiten. Für viele junge Leute spielen moralische Werte heute eine deutlich wichtigere Rolle als für frühere Generationen. Moralische Anschauungen werden eng verbunden mit sozialem, ökologischem, ökonomischem und politischem Handeln. All dies findet sich in der Klimafrage wieder: Was ist eine gerechte Politik und welche Haltung sichert der Menschheit ihr Überleben?
Greta Thunberg ist die Ikone der weltweiten Klimabewegung. 2018, im Alter von 15 Jahren, begann sie in Stockholm für mehr Klimaschutz zu streiken. Greta Thunberg bemängelt, dass die Klimakrise immer noch nicht als wirkliche Notlage behandelt werde. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass dies durchaus möglich sei. Auch der Krieg dürfe nicht dafür sorgen, dass die Klimakrise aus dem Fokus gerät: „Jeder Krieg ist ein Desaster. Auf ganz vielen Ebenen. Aber wir müssen in der Lage sein, uns mit verschiede-nen Dingen zur selben Zeit zu beschäftigen.“
Wenn wir ehrlich sind, haben wir den Kampf längst verloren: Wir werden den Klimawandel nicht mehr aufhalten und mit drastischen Umbrüchen leben müssen. Gert Scobel diskutiert mit Gästen.
06.08.2022
Die Wälder brennen, die Flüsse trocknen aus, doch um den Klimastreik ist es ruhiger geworden. Die Bewegung der Strasse steckt in einer Sackgasse, das zeigt sich exemplarisch an ihrem bekanntesten Gesicht: Jonas Kampus. Der junge Zürcher hadert – und denkt über eine Radikalisierung nach.
Von Benjamin Rosch
Es ist heiss auf dem Corso Taranto in Turin, unerträglich heiss, selbst für diesen späten Julitag. Vor rund einer halben Stunde hat sich ein Tross von wenigen hundert jungen Menschen auf den Weg gemacht. Eben sassen sie noch im Klimacamp auf einem verwaisten Schulgelände in der Nähe des Po, dann rief plötzlich jemand «andiamo!», einige haben sich noch die Wangen schwarz-grün angemalt, und schon sind sie losmarschiert. Jetzt macht die Menge Halt vor dem Sitz von Snam Rete Gas, dem italienischen Gasnetzbetreiber. Dessen Gelände ist umgeben von einer Mauer. Auf diese klettern einige Vermummte in weissen Anzügen, mit Pyrofackeln in der Hand. Sie schreien «A-Anti-Anticapitalista!».
Unten in der Menge blickt ein blonder junger Mann aus dem Zürcher Oberland zu den Gestalten hoch, mit blauem Shirt und weissem Jutebeutel über den Schultern, und schreit mit. Später wird er sagen, er denke pausenlos an die Klimakrise, jede Stunde in seinem Leben. Und Momente wie dieser hier, irgendwo im Industriegelände von Turin, seien jene seltenen Augenblicke, in denen sich seine immerwährende Anspannung ein bisschen löst.
Das ist die Geschichte von Jonas Kampus, 21, dem bekanntesten Gesicht des Schweizer Klimastreiks. Dessen Energie mithalf, innert kurzer Zeit massenweise Jugendliche zu mobilisieren. Und dessen aktuelle Zweifel sinnbildlich sind für eine Bewegung, die an einem Scheideweg angekommen ist.
Er hat das Talent zum Anführer
Die Schweizer Klimabewegung begann, wie alle Bewegungen beginnen: im Chaos. Wer zu wem was gesagt hat, lässt sich kaum rekonstruieren. Sicher ist, dass es Jonas Kampus war, der Anfang Winter 2018 eine Chatgruppe auf Whatsapp gründete. Dort fanden schnell Jugendliche aus der ganzen Schweiz zusammen, die dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Klimawandel teilten – und dagegen ankämpfen wollten. Das grosse Idol: Greta Thunberg. Auch für Kampus war der Protest des Mädchens aus Schweden gewissermassen eine Initialzündung, auch wenn er schon vorher das Thema eng verfolgt hatte und im Austausch nstand mit Gleichgesinnten, sogar aus Australien.
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Die Klimajugend und ihr Flirt mit der Radikalität
Seit seinen Anfängen spekulieren Medien darüber, ob der Klimastreik bald zu drastischeren Formen des Widerstands greifen würde. «Wie weit werden sie gehen?», unkte die «Republik» im Dezember 2020. Und in regelmässigen Abständen versuchte die «NZZ», den Klima-Aktivismus in die Nähe von Ökoterrorismus zu bringen. Als würden Kampus und Konsorten als reinkarnierte Giorgio Bellinis oder Marco Camenischs bald Sprengstoffanschläge in der Schweiz verüben.
Doch das Gegenteil ist auch falsch: Der Flirt mit der Radikalität ist mehr als Koketterie und Kampagnen-Rhetorik. Im jungen Zürcher ist diese Faszination für das ganz Grosse auszumachen, die maximale Aufmerksamkeit, die Revolution. Das ist die innere Kraft, die auf Kampus einwirkt. Die äussere ist die Zeit. In den vergangenen drei Jahren ist der Klimastreik seinem früheren Habitat entwachsen: Als Schülerinnen und Schüler genossen die Streikenden Sympathien, die sie jetzt kaum für sich beanspruchen können. Aus dem Schüler Jonas wurde Aktivist Kampus, der mit der GSoA Kampfjets bekämpfte und schon ab diesem Herbst für die Klima-Allianz arbeitet. Der Protest bleibt zwar ein Nebenamt. Aber die Revolution wird halt auch zum Job. Daran ist nichts Verwerfliches, auch Klimastreikende müssen Rechnungen zahlen. Es ist aber der vielleicht grösste Unterschied zu 2018, grösser als die Radikalisierung: Die Klimabewegung ist eine Institution geworden, Kampus ein Funktionär. Das ist viel mehr logische Konsequenz als Verrat an der Bewegung. Und doch nimmt es dem Klimastreik den Nimbus, für das Gros der Jugend zu sprechen.
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